Als erfolgreicher Gründer, Blogger und Autor von Büchern wie „Wellensittich entflogen – Farbe egal“ sammelt Joab Nist von Lesern zugesendete Anzeigen und Notizen aus ganz Berlin. Vor fast acht Jahren ging sein Blog „Notes of Berlin“ online und mit über 350 000 Social Media Abonnenten erfreut er sich wachsender Beliebtheit. In einer Zeit in der sich viele mit eigenen Blogs, YouTube und Instagram-Accounts selbstständig machen, fragt man sich, wie wird man eigentlich Blogger? Welche Herausforderungen muss man überwinden und wie viel Arbeit steckt wirklich dahinter?
Hallo Joab! Freut mich, dass Du dir Zeit für unser Interview genommen hast. Wir wollen heute vor allem über Deinen Blog Notes of Berlin sprechen. Hättest Du jemals gedacht, dass Notes of Berlin so erfolgreich werden wird, als Du es vor einigen Jahren gegründet hast?
Konkret gedacht habe ich das nicht. Ich hatte eine Vision, wohin ich Notes of Berlin gerne führen würde und vieles davon konnte ich bereits umsetzen. Mir war es sehr wichtig, dass der Blog bekannt wird und dass sich viele Menschen an der Idee beteiligen und mitmachen. Außerdem konnte ich Bücher veröffentlichen und halte Lesungen, aber es ist noch viel mehr möglich. Man hört nicht auf zu träumen. Alle paar Monate entwickle ich eine neue Vision, die ich dann versuche so gut es geht umzusetzen.
Wie hat es Notes of Berlin geschafft so erfolgreich zu werden?
Ich wollte bereits in der Anfangsphase jeden Tag etwas veröffentlichen und dabei fiel mir ziemlich schnell auf, dass ich das ohne die Hilfe der Leser nicht schaffe. Glücklicherweise haben die Menschen da draußen ziemlich schnell verstanden, dass Notes of Berlin eine coole Idee ist und haben mitgemacht. Da ist von Anfang an ein gewisser Funke auf meine Leser übergesprungen. Mittlerweile besteht der tägliche Bloginhalt zu 95% aus von Lesern eingesendeten Beiträgen, womit Notes of Berlin einer der größten Blogs in Deutschland ist, dessen Inhalt von den Usern generiert wird.
Hast Du von Anfang an alles auf das Gelingen von Notes of Berlin gesetzt?
In meinem Herzen schon, aber rational gesehen nicht. Notes of Berlin wurde am 10.10.2010 gelauncht und das war auch der Tag, an dem ich mich für mein Masterstudium eingeschrieben habe. Nachdem ich meinen Bachelor absolviert hatte, war mir noch nicht ganz klar, was ich damit anfangen sollte. Ich hatte Kulturwissenschaften studiert, was ein sehr breitgefächerter Studiengang ist, der selten bei einem Thema in die Tiefe geht. Auf die Arbeitswelt fühlte ich mich so nicht vorbereitet. Eigentlich hatte ich auch keine Lust weiter zu studieren, weil ich lieber an einer eigenen Idee arbeiten wollte. Deshalb war für mich klar, dass ich die verbleibenden zwei Jahre in der Uni dafür nutzen würde, nebenbei ein eigenes Projekt voranzubringen. Denn wenn du noch Student bist, musst du dich noch nicht zwangsläufig dafür rechtfertigen, was du neben dem Studium noch so machst und musst dich meistens noch nicht radikal selbst finanzieren. Offiziell war ich also Student und inoffiziell habe ich mehr für Notes of Berlin gemacht als studiert. Meinen Masterabschluss habe ich trotzdem geschafft und während des Studiums bemerkt, dass das Projekt genug Potenzial hat, um alles auf eine Karte setzen zu können. Also habe ich mich entschieden, es erstmal mit Notes of Berlin zu probieren. Hätte es nicht funktioniert, habe ich trotzdem einen Abschluss und müsste nicht zwangsläufig unter der Brücke schlafen. Aber die Chance es zu versuchen, gibt es vielleicht nur einmal. Denn wenn du erstmal mitten im Berufsleben stehst, einen 40 Stunden Job und am besten noch Überstunden hast, hast du vielleicht nicht mehr die Freiheit ein eigenes Projekt umzusetzen.
Hattest Du nie Angst davor, dass Deine Vision nicht umsetzbar sein wird oder dass es schief gehen könnte?
Na klar, die Angst habe ich heute noch und die kann mir auch keiner nehmen. Die Frage ist, wie man damit umgeht. Ich hatte viele schlaflose Nächte in denen ich mich gefragt habe, ob ich es nicht doch ein wenig entspannter haben möchte. Einfach weniger darüber nachdenken müssen, wohin das alles führt. Aber auf der anderen Seite kann man wahnsinnig viel Kraft aus seiner eigenen Sache gewinnen. Im meinem Fall überlagert diese Kraft die Ängste, die immer wieder aufkommen. So lange ich die eben angesprochene Vision träume und mir neue Ideen nicht ausgehen, habe ich einen Antrieb weiterzumachen. Falls sich das mal ändern sollte, kann ich immer noch überlegen, wie ich weitermachen möchte. Das Projekt jemals abzulegen, kann ich mir aber nur schwer vorstellen. Ich betreibe es auch nicht mit dem kommerziellen Gedanken reich zu werden, aber seitdem ich es hauptberuflich mache, muss ich mir natürlich überlegen, wie ich davon leben kann. Da wird aus Leidenschaft auf einmal Beruf.
Was machst Du, falls Dein Projekt doch scheitern sollte?
Notes of Berlin gibt es bereits seit über sieben Jahren und der große Hype war wahrscheinlich schon. Es gibt sicher viele Leute, die Notes of Berlin lange Zeit mitverfolgt haben und irgendwann aufhören, weil sie sich mit etwas Neuem beschäftigen wollen. Tendenziell hat das Thema von Notes of Berlin aber das Potenzial immer wieder neue Leute zu begeistern. Deshalb habe ich nicht das Gefühl, noch damit scheitern zu können. Außerdem stellt sich hier die Frage, wie man Scheitern eigentlich definiert. Eine Möglichkeit des Scheiterns wäre eventuell, dass man das Projekt nicht mehr finanzieren kann.
Wie würdest Du Deinen Beruf genau beschreiben? Bist Du ein Unternehmer?
Ich bin kein Startup und nicht nur ausschließlich Blogger, denn dafür mach ich mehr als nur täglich bloggen. Zusätzlich bin ich unter anderem Herausgeber von Büchern und Kalendern. Unternehmer trifft es deshalb ganz gut, auch wenn ich mich selber eher als Gründer meiner eigenen Sache bezeichnen würde. Ich versuche Notes of Berlin als Marke aufzubauen. Wenn ich nach meinem Beruf gefragt werde, sage ich, dass ich Blogger bin. Das ist einfacher, da man Notes of Berlin vor allem als Blog kennt, auch wenn es viel mehr ist als das. Auf meiner Visitenkarte steht aber „Founder“, womit ich mich besser identifizieren kann.
Es war am Anfang sicher schwierig Bekannte und Freunde davon zu überzeugen an Dich zu glauben. Wie hast Du das empfunden?
Ich würde nicht sagen, dass sie nicht an mich geglaubt haben. Das Problem war die Idee an sich. Du musst es dir so vorstellen: Du hast acht Jahre lang studiert, Bachelor und Master gemacht und dann sagst du: „Danke Studium, ich fange jetzt an Zettel zu sammeln und irgendwie wird das schon was.“ Da ist klar, dass das Umfeld erstmal stutzig ist und sich fragt, wofür man so viel Zeit in ein gutes Studium investiert hat, wenn man seinen Abschluss im Endeffekt nicht nutzt. Immerhin ist man nur einmal jung und hätte jetzt noch die Chance einen spannenden Job zu finden, mit dem man erste Erfahrungen im Unternehmen sammeln könnte. Bis heute habe ich relativ wenig Erfahrungen in Unternehmen gesammelt, weil ich immer nur an meiner eigenen Idee gearbeitet habe. Deswegen kann ich die Skepsis gut nachvollziehen. Aber meine innere Motivation war einfach so stark, dass ich aushalten konnte, dass sie am Anfang an der Nachhaltigkeit meines Projektes zweifelten. Andererseits ist es auch eine große Motivation, es den anderen beweisen zu wollen. Da gibst du nochmal bisschen mehr Gas. Man braucht nur bisschen Zeit und die Idee kann fruchten. Das war unbewusst meine Einstellung.
Wie gehst Du mit Fehlern um und woran erkennst Du einen Fehler?
Oft ist es so, dass ich den Fehler zuerst selber nicht bemerke, sondern von Lesern darauf hingewiesen werde. Am Anfang habe ich Kritik oder Hinweise auf Fehler sehr persönlich genommen. Auch wenn sie recht hatten oder gerade, weil sie recht hatten. Aber man wird ein bisschen relaxter mit der Zeit. Es ist wichtig, sich ein dickes Fell zuzulegen, damit man von Kritik nicht sofort aus der Bahn geworfen wird. Mir ist das zwar nicht immer gelungen, aber man muss Fehler machen, um daraus zu lernen. Nächstes Mal machst du es dann besser oder erkennst das Problem früher. Wenn man selbstständig ist, führt kein Weg an Fehlern vorbei. Ich habe viele Freunde, die als Festangestellte arbeiten und sich meinen Lebensentwurf nicht vorstellen können. Die meinen: „Du kannst nicht mal am Wochenende abschalten und bist eine öffentliche Person, deren Name überall im Internet zu finden ist. Das ist doch nur Arbeit.“ Und da fängt der Unterschied eigentlich schon an. Für mich ist das nicht „nur Arbeit“. Ich möchte mich mit dem, was ich tagtäglich mache und mit dem ich Geld verdiene, auch identifizieren können. Natürlich kann ich trotzdem gut nachvollziehen, wenn man das lieber trennen möchte. Bei Selbstständigkeit steckt es schon im Wort, du machst es selbst und du machst es ständig. Das klingt zwar banal, aber ist wirklich so. Das ist der Deal.
Wie hat sich Deine Vision über die Jahre geändert?
Die Grundidee ist gleichgeblieben, das Projekt hat sich aber weiterverzweigt. Es gibt Lesungen, Ausstellungen, Bücher, Kooperationen und neue Ansätze, wie man den Inhalt besser variieren kann. Das habe ich nicht gemacht, weil ich eine neue Strategie gebraucht habe, sondern weil ich für mich selber immer wieder einen neuen Anreiz finden wollte. Man ist als Blogger, nicht nur Blogger. Du machst dein eigenes Marketing, du überlegst dir dein eigenes Produkt, du bist deine eigene Assistentin, du bist eine Mutter für alles. Einerseits ist das überfordernd, andererseits auch super spannend. Ich hätte gar keine Lust jeden Tag nur vor dem Rechner zu sitzen und immer das gleiche zu machen.
Wie motivierst Du dich?
Vor allem über meine Visionen. Diese Motivation kann man nicht an- oder ausschalten. Sie ist immer da. Wenn du diese Eigenmotivation nicht hast, werden dir auch keine 1000 Ratgeber über Selbständigkeit oder Motivation weiterhelfen. Du musst zuerst für dich selber herausfinden, was zu dir passt. Das ist die Basis und darauf beruht der Wettbewerbsvorteil. Dann kommt der nächste Schritt, bei dem man sich von außen Inspiration holt, um seine eigene Idee umsetzen zu können. Für die Art, wie man sich inspirieren lässt, gibt es kein Regelwerk. Manche fahren für ein paar Wochen nach London, andere machen Yoga, um neue Ideen zu entwickeln. In meinem Fall ist es so, dass ich mich für viele verschiedene Dinge interessiere, wie zum Beispiel Kunst und Photographie. Oft ist es dann so, dass ich bei Veranstaltungen, Ausstellungen oder Büchern anfange zu überlegen, ob ich deren Ansatz auch irgendwie nutzen kann. So hole ich mir neue Inspirationsquellen und manchmal bleibt etwas davon haften und fließt in ein neues Projekt ein.
Notes of Berlin hat auch eine starke Social Media Präsenz. Was würdest Du raten, wenn man erfolgreiche Posts kreieren möchte?
Die Bedingungen dafür ändern sich immer wieder. Facebook ändert alle paar Monate seinen Algorithmus. Da kann man nie sagen, dass das, was man gelernt hat, für alle Ewigkeiten gültig ist. Bis du eine bestimmte Strategie perfektioniert hast, haben sie schon wieder etwas geändert. Man muss immer am Ball bleiben. Jeder hat eine andere Zielgruppe und eine andere Art mit dieser zu kommunizieren. Ob man duzt oder siezt oder ob man eher seriös oder humorvoll ist, hängt sehr von einem selbst ab. Man entwickelt eine eigene Tonalität für sein Projekt, was sich vor allem auf die Social Media Strategien bezieht. Am Ende sollte man keine andere Strategie kopieren, sondern für sich selber herausfinden, was zu dem Projekt passt.
Wir bieten an unserer Uni Studiengänge wie Digital Business oder Digital Marketing and Social Media an. Hättest du das studiert, wenn Du die Chance dazu gehabt hättest?
Ja klar sofort. Ich habe damals sogar recherchiert, welche modernen Studiengänge und Ausrichtungen zur Auswahl standen. Leider habe ich nichts gefunden, was zu mir gepasst hätte. Entweder es war im Ausland, zum Beispiel in der USA, wo du 30.000€ im Jahr für dein Studium zahlst oder es waren einzelne Seminare und Workshops. Das Thema Digital Business war vor 7-10 Jahren noch nicht so präsent und der Markt war dementsprechend überschaubar. Das Hochschulwesen braucht zudem zusätzlich länger, um sich neuen Entwicklungen anzupassen. Aber ich hätte mich sofort dafür begeistern können.
Wie schafft man es online dauerhaft erfolgreich sein?
Wer im Internet dauerhaft überleben will, der muss Inhalte von bleibenden Wert schaffen. Einen Hype kann jeder kreieren. Es ist nicht schwer heutzutage viel Aufmerksamkeit für einen Text, ein Bild oder ein Video zu bekommen. Das Internet ist wahnsinnig schnellläufig und wir sind gewöhnt, jeden Tag aus allen Ecken der Welt neue Inhalte und Informationen zu bekommen. Unsere Aufmerksamkeit geht gegen null, wenn es uns nicht sofort in den Bann zieht. Am Beispiel von Notes of Berlin kann man allerdings sehen: Ich poste zwei Notes pro Tag auf meinem Blog und trotzdem habe ich jeden Monat über 500.000 Seitenaufrufe, manchmal auch eine Million, obwohl da nicht viel passiert. Notes of Berlin behandelt ein Nischenthema und wenn dieses Nischenthema die Tiefe hat und eine authentische Art zu kommunizieren, dann bekommt es auch eine gewisse Wertigkeit. Ich bin kontinuierlich drangeblieben und das zahlt sich aus. Man wird dafür ernst genommen und das Thema an sich wird nicht wie ein temporärer Hype behandelt. Wer im Internet etwas bewegen möchte und dauerhaft präsent sein möchte, der sollte auch ein Thema wählen, das in den Köpfen bleibt.